3Europäisches Mahnverfahren
1.Text der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 vom 12.12.2006
2. Erläuterung
Während die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 vom 21.4.2004 „genuin“ nationalen Vollstreckungstiteln durch die Bestätigung als „Europäischer Vollstreckungstitel“ zur europaweiten Vollstreckbarkeit verhilft und damit gleichsam zweistufig geprägt ist, geht die Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 einen Schritt weiter und schafft ein eigenes gemeinschaftsrechtlich geregeltes Mahnverfahren, das zu einem „genuin“ europäischen Vollstreckungstitel führt.
Das Europäische Mahnverfahren nach der VO (EG) Nr. 1896/2006 bietet einem Gläubiger die Möglichkeit, schnell und kostengünstig einen Titel zu bekommen, wenn es sich um eine bezifferte fällige Geldforderung handelt und der Schuldner die Forderung voraussichtlich nicht bestreiten wird. Es muss außerdem ein sogenannter grenzüberschreitender Fall vorliegen, d.h. die Parteien müssen grundsätzlich in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sein. Eine Wertgrenze ist nicht vorgesehen.
Beispiel: Ein Verbraucher aus Deutschland bestellt von München aus über das Internet bei einem englischen Unternehmen in London ein Notebook. Bei der ersten Nutzung stellt sich heraus, dass der Prozessor langsamer ist, als im Internet angepriesen. Der Verbraucher widerruft sogleich den Kaufvertrag und sendet das Notebook nach London zurück. Trotz mehrerer Aufforderungen erstattet der Händler ihr den im Voraus gezahlten Kaufpreis nicht zurück.
Künftig ist es möglich nach dem Europäischen Mahnverfahren gegen den Gläubiger vorzugehen und auf einem Standardformular beim zuständigen englischen Gericht den Erlass eines Zahlungsbefehls zu beantragen. Der Gläubiger muss damit nicht mehr nach der jeweiligen einzelstaatlichen Verfahrensordnung vorgehen, sondern kann ein europaweit einheitliches und einfaches Verfahren zur Forderungsbeitreibung nutzen.
Das Formular des Europäischen Mahnverfahrens ist anwenderfreundlich gestaltet: Durch Ankreuzfelder werden sprachliche Schwierigkeiten beim Ausfüllen weitgehend vermieden. Ist der Antrag wie etwa im Ausgangsfall nicht offensichtlich unbegründet, erlässt das Gericht den Zahlungsbefehl. Diesen Zahlungstitel stellt das Gericht dem Antragsgegner – hier dem englischen Unternehmen – zu. Er hat dann die Möglichkeit, den Zahlungsbefehl entweder zu akzeptieren oder Einspruch einzulegen.
Legt der Antragsgegner innerhalb von 30 Tagen keinen Einspruch ein, erklärt das Gericht den Zahlungsbefehl automatisch für vollstreckbar. Der Antragssteller kann den Zahlungstitel dann in jedem EU-Mitgliedstaat zwangsweise durchsetzen. Im Fall eines Einspruchs des Antragsgegners beginnt ein gewöhnlicher Zivilprozess, es sei denn, der Antragsteller hat ausdrücklich beantragt, das Verfahren in einem solchen Fall zu beenden. In unserem Fall müsste der deutsche Verbraucher genau begründen und notfalls beweisen, warum er sein Geld zurück möchte.
Für die Bearbeitung von Anträgen im Europäischen Mahnverfahren ist in Deutschland allein das Amtsgericht Berlin-Wedding zuständig. Die Zuständigkeitskonzentration erleichtert es dem Antragsteller – der in der Regel im EU-Ausland ansässig ist – erheblich, seinen Antrag beim zuständigen Gericht einzureichen. Im deutschen Zivilprozessrecht ist das Europäische Mahnverfahren in den §§ 1087-1096 ZPO geregelt.
Im Vollstreckungsmitgliedstaat darf die materielle Berechtigung des im Europäischen Mahnverfahren titulierten Anspruchs nicht nachgeprüft werden. Vielmehr ist der vollstreckbar gewordene „Europäische Zahlungsbefehl“ in den anderen Mitgliedsstaaten einer dort ergangenen vollstreckbaren Entscheidung gleichgestellt.
Im Gegensatz zum schweizerischen Betreibungsverfahren (Art. 67 SchKG) ist das Europäische Mahnverfahren als eigenständiges Erkenntnisverfahren konzipiert, Art. 17 Abs. 1 Mahnverfahren-VO.